Das Phänomen des Kotzens

Ein schöner Abend war´s, mit Wundern von Menschen bei Trank uns Speis´ die kleinen Gesten zelebriert. Kleine Gesten des Austauschs, der Zuneigung, der momentanen Seelenverknüpftheit. Kleine Gesten, die strahlend machen.

Beschwingt und vermeintlich flügelleicht heim geradelrollt, Make-up aus dem grinsemüden Gesicht in den Mülleimer gewischt, Wasserhahn und Zahnbürste einen routinierten Gute-Nachtkuss geschenkt, im Liegen zeigt der Körper seine Schwere, es zieht nach unten, nach unten ins Halb-Bewusstsein. Und dunkel wirds, nachdem der feine Nachhall vergangener Lichter hinter den Lidern verstummt. Drehen, angehnehm. Doch das scheinbar unermüdliche Karussell kreist zu schnell als das der Schlaf aufspringen könnt. Drehen, unangehnehm. Augen auf. Wasser auf.Mund auf. Geräusche die erklingen beim pausenlosen Leertrinken einer literfassenden Flasche sind recht erbärmlich. Erbärmlich ist auch menschlich. Erbärmlich mit De zwischen Er und Be ist recht lecker. Erbärmlich ist´s aber vor allen Dingen, dass ein so herrlich Tag nicht in seeligem Schlaf endet, sondern im gequälten Entschluss sich zu erheben und -SChreck lass nach- das Licht wieder einzuladen. Durch den ungewollten Sehsinngebrauch verwirrt, wird umhergeirrt zum Abort.


Feuchte Zungenküsse mit dem Wasserhahn, während das Kind der letzten Begegnung in die Schüssel rinnt. Es verinnt ein Berg von Sandkörnchenzeit, apathisch wird die Schüssel angesehen. Körper mag Schlaf. Kopf ebenso. Doch Kopf ist nunmal Kopf und kopft die Idee etwas störendes aus dem Körper in den Kopf und aus dem Kopf heraus zu spucken sei schlafbrav. Und ekelig. Je mehr Spucke in das Wasser plumpst, je mehr Stocherversuche im Rachen, Kopf sagt du musst das machen, bist nur dies nicht gewohnt. Das ist Ausnahme. Das ist Extrem. Angst. Davor in dem Ekeligen was einst bekömmlich, betriebsfähig und glücklich machte, das eigene Versagen zu sehen. Vor den Geräuschen und Gerüchen die Mensch auch kann, die einen urinstinktbedingt warnend sich ebenso schlecht dreckig,eklig fühlen lassen wie der Kotzende. Begründet liegt die Widerwärtigkeit des Kotzens in höhlenmenschlicher Überlebensstrategie. Warum kann ich mich nicht über dieses in krankenversorgungsvernetzter Zivilisation ungebräuchliche Stück Reaktion nicht hinweg setzen?

Ist´s nicht auch ein Zeichen von Unbeschwertheit das Innerste zu entleeren? Freiheit? Reinigung? Etwas herauslassen, das einem nicht gut tut? Nicht nur konsumieren, alles in sich hineinschlingen, sondern auch bearbeiten und in neuer Form wieder in die Welt entlassen? Weil alles andere feige und leblos wäre? Möglicherweise ist hier zwischen körperlichen und geistigen Vorgängen ein Unterscheidungsstrich zu ziehen. Als Analogie funktioniert´s aber prima. Und feige bin ich allemal, kann ich mir doch diesen Ekel nicht antun und sinniere schon seid einer Stunde über dem Gestank, der über den Toilettenrand wabert. Meine Spucke malt Inseln ins Wasser.

Womit ich Kotzen verbinde ist nicht meine eigene Kotze, die sah ich zuletzt in der Kindheit. Bilder der letzten Feiernacht von Freunden oder Fremden, Bilder die beim Zurückrufen Gänsehaut machen. Ein kurzer Schauer und viel Wegschauen. Die kranke Großtante die ich in der Zeit besuchte als es noch so etwas wie eine illusorische, aber in dem Alter nicht hinterfragte, Familie gab. Sie würgte braune Masse in ein PappNierenschälchen. Die, die nicht gehalten werden können, ohne mit einem Finger dem Inhalt Nahe zu kommen. Menschen standen um ihr Krankenhausweiß. Voll war der Raum mit Scham, Mitleid und Ekel. Ich will nicht das die Kleine mich so sieht schienen Großtantes Augen zu fordern. Umgedreht wurde ich, ich sah durchs Fenster viel Betoninnenhof, wenig Himmel. Bald darauf ward sie gesund, wir spielten Rommeé. In einem schäbigen Altersheim. Da Großtante als letzte Verbliebene ihr Elternhaus einsam besetze war dieses Heim quasi ihre erste eigene Wohnung. Bald darauf verweigerte sie morgens ihre Psychopharmaka und kletterte über die Brüstung des schäbigen Balkons im schäbigen Altersheim. Verabschieden durfte ich mich nicht, niemand sagte mir Bescheid, ich sollte ja lieber aus dem Fenster sehen.

Freundin, engste, 14 Jahre. Vermeintlich vorwurfsvoll übe ich mich im Haare halten. Sie Hedonistin, Ich vernünftig. Ich sauber, Sie dreckig. Sie erfahren, Ich unfrei. Ich alt, Sie jung.

Mittags gab es nach der Schule gemeinsames Mittagessen, Spagetthi mit Tonnosauce. Mutter besetzte stundenlang das braune, bizarre Gästeklo, Magen-Darm machte sie hilflos, elend, schwach - das was sie sich kaum eingestehen konnte und doch immer auch ist. Spagetthi mit Tonnisauce gab´s nie wieder.

Fast hätte der Schlaf mein Bewusstsein gelockt, als der Körper noch auf allen Vieren viehisch in dem Keramikraum weilte. Wenn der Mitbewohner dich so findet. Wenn du dich morgen so findest. Wieviel Stunden muss ich arbeiten für den mittlerweile von Enzymen zersetzten Wert des Mageninhalts? Wenn Hunger andere plagt, wie kann ich dann meine relativen Luxusnährstoffe einfach so von mir geben?
Kotzen hilft gegen Dicksein, wird von den Medien immer wieder reproduziert.
Dicke ist auch ein moralisch verwerflicher Zustand. Und diese Geistesschwäche ist an jeder Bewegung ablesbar. Ein wandelndes Inkonsequent und Undiszipliniert und Flucht. Schwach. Nicht fähig einzuschätzen was an Energie und Nahrung benötigt wird um zu leben. Vom Körper aus, ohne den bedürfnissverwirrenden Einfluss der IndustrieMachinerie. Essen ist lebensbejahend, nicht affirmativ ist dagegen Kotzen. Ein großes Nein. Das Ja des Essens kann ein Nein zum Ich sein, Das Nein des Kotzens kann ein Ja zum Ich sein. Könnten wir statt Essen nicht im Sommer Photosynthese praktizieren und den Winter verschlafen? Ein Versuch wär´s wert.
Der Deckel fällt, es überfällt zart unausweichlich der Schlaf Körper und Geist und vereint beide in Unbewusstheit.

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